Deutsch ist eine wundervolle Sprache. Mit poetischer Präzision und unaufgeregter Klarheit bewirkt sie das echte Abrakadabra, erzeugt Resonanz, schafft Verbindungen. Doch Babylon ist überall. Vor allem dort, wo englischer Digital-Content ins Deutsche überführt wird. »Hey, wir haben Excelsheets mit englischer Copy reinbekommen, die müssen wir übersetzen.« »Kein Problem, ich lass mir gleich paar Übersetzer-KVs geben, wir nehmen dann den billigsten.« »Ach was, die Kohle können wir sparen. Lass Autotranslate drüberlaufen, dann polieren wir das noch was, merkt eh keiner.« So ähnlich tönt es, kurz bevor ein folgenschwerer Text-Unfall passiert. Die Entscheidung, englischen Content per Billig-Übersetzung nach Deutsch zu wurschteln ist wie Reifenquietschen, das dem Knall vorausgeht, mit dem eine User Experience durch beschissene Ansprache beendet wird. Und weil ich die Unfallfolgen gelegentlich als Notfallpatienten auf den Tisch bekomme mit der Bitte, zu retten was zu retten ist, gibt’s heute ein paar Worte aus dem Textland dazu. Ich hab was gegen vermeidbare Unfälle. Schon mal einen Wüstenkaktus ins friesische Watt umgetopft?Originäre länderspezifische Kreativ-Kampagnen für internationale Markenkunden sind selten geworden. Die meisten Global Brands mit Sitz in einem englischsprachigen Land bespielen ihre lokalen Werbemärkte zentral mit englischem Content aus dem Headquarter. Die lokalen Agenturen haben lediglich die Aufgabe, diesen Content für den jeweiligen Markt aufzubereiten. Grundsätzlich kein Fehler, wenn die Basis stimmt. So wird weltweit eine einheitliche Bild- und Themenwelt kommuniziert, die Markenpersönlichkeit bleibt kohärent und wiedererkennbar, ob als Social Media, Kampagnenmodul oder Landingpage dekliniert. Aber was passiert mit dem Text, wenn er aus dem englischen Sprach- und Kulturraum in den sagenwirmal italienischen, spanischen, französischen oder deutschen überführt wird? Genau an dieser Stelle sitzt das Unfallrisiko im Gebüsch. Übersetzen – oder lokalisieren?Bis vor wenigen Jahren hieß es: übersetzen, so billig wie möglich. Die Zeichen-/Wort-Honorare für Übersetzer lagen auf obszön niedrigem Niveau, die Qualität war entsprechend lausig. Die von Englisch nach Deutsch übersetzten Websites, Newsletters oder Social Media Posts waren so verquast, die Wortwahl so unpassend und der Satzbau so sperrig, dass man die Texte nicht mal einem Grundschüler durchgehen lassen würde. Man hörte beim Lesen förmlich das englische Original im Hintergrund mitlaufen. Selbst wenn es inhaltlich richtig übersetzt wurde, so fehlt doch alles, was einen Text gut lesbar, verständlich und aktivierend macht. Ist klar: Ein Texter textet, ein Übersetzer übersetzt. Und textet nicht. Darf er auch gar nicht. Für kreative Einfälle, kulturtypische Adaptionen, marktspezifische Änderungen und redaktionelle Überarbeitung ist er nicht zuständig. Zielgruppe, Markenidentität, Vibe – all das hat ihn nicht zu interessieren, er übersetzt die Wörter, die er bekommt. Egal, ob es sich um den Text einer Kosmetikmarke, eines Reifenherstellers, Modelabels, Wurstherstellers oder IT-Konzerns handelt. Entsprechend unspaßig liest sich das Ergebnis. Damit ein englischer Text auch auf Deutsch funktioniert, darf man ihn nicht stumpf übersetzen, sondern muss ihn, tadaa, lokalisieren. How to make Übersetzung feel like guter TextVermutlich musste es erst grottig werden, bevor es besser werden konnte. Nachdem sich reihenweise große Marken mit oberpeinlichen, weil 1:1 übersetzten Blogs, Microsites und Werbemitteln blamiert hatten und ihnen das von den deutschen Rezipienten unverblümt um die Ohren gehauen wurde, kam vor einigen Jahren endlich die Trendwende. Immer mehr Unternehmen erkannten, dass sich englische Originaltexte ihrer Marke zwar billig und schnell übersetzen lassen und auch irgendwie nach Content aussehen, aber deshalb noch lange nicht im deutschsprachigen Markt funktionieren. Als ich 2012 vor den noch rauchenden Trümmern verschiedener Websites mit denglischen digitalen Dooftexten (always avoid alliterations) meine ersten Workshops zum Thema Lokalisierung gehalten habe, war es noch gar nicht so leicht, die Entscheider für individuelle deutsche Lokalisierungen zu begeistern. Zu neu waren Begriffe wie kulturtypische Userführung, marktspezifische Didaktik, sprachlich authentische Neuformulierung der englischen Inhalte. Aber es hat geklappt. Inzwischen ist es Routine. Und zwar eine, die Spaß macht. Lokalisieren bedeutet, den Originaltext NICHT ins Deutsche zu übersetzen, sondern ihn neu zu schreiben. Und den englischen Text lediglich als Input zu verwenden. Das heißt, man muss sich ins Thema einarbeiten, den Inhalt tatsächlich verstehen und wissen, was er bedeutet, so dass man ihn im lokalen Markt erzählen kann. Bis hierhin klar? Gut, dann hätte ich jetzt ein Praxisbeispiel. Original und Fälschung»Founded in 1992, the unconventional brand is well-known by now for its progressive, sometimes even edgy and provocative identity, and for frequently engaging in cultural marketing initiatives, combining modern spirituality and innovative products for your sophisticated urban lifestyle, connecting with popular culture as well, which will help the brand further maximize exposure to a younger generation, enabling customers and fans to experience the outstanding quality of our products.« Ganz schön langatmig, das englische Original. Aus dem Übersetzungsbüro kam das hier: »Gegründet in 1992, ist die unkonventionelle Marke mittlerweile für ihre eckige progressive manchmal provokative Identität und ihr regelmäßiges Engagement für kulturelle Marketinginitiativen bekannt. Sie kombiniert moderne Spiritualität und innovative Produkte für Ihren anspruchsvollen und urbanen Lebensstil und verbindet sich auch mit der Populärkultur, was der Marke helfen wird, den Kontakt zu einer jüngeren Generation zu maximieren, damit Kunden und Fans die herausragende Qualität unserer Produkte erleben können.« Örks. Nach der Lektüre brauchte ich erstmal einen Kaffee, denn in diesem Stil zog sich das ganze Dokument hin. Klarer Fall von verkorkstem Text. Bevor wir uns anschauen, wie verkorkst er wirklich ist, zunächst zum direkten Vergleich. Hier ist mein spontaner Gegenvorschlag: »Progressiv, unkonventionell, engagiert. Seit ihrer Gründung 1992 unterstützen Marion Inc. regelmäßig kulturelle Projekte und Veranstaltungen – ohne Berührungsängste mit jugendlicher Popkultur. Mit einem konsequenten, manchmal provokanten Mix aus moderner Spiritualität und innovativen Produkten für einen urbanen Lifestyle begeistert die Marke inzwischen auch ein jüngeres Publikum.« Warum ist das besser? Weil es viel kürzer ist, sich leichter liest und ein Pfund Schwafel weniger enthält. Trotzdem ist es eine Interpretation des Originaltexts, keine neu konzipierte Aussage. Und so kommt man da hin: 1. Um was geht's?Adjektiv-Inkontinenz, gepaart mit der Tendenz, alles doppelt und dreifach sagen zu wollen, ist typisch für US-Englisch und passt da auch gut hin. Es sollte aber nicht 1:1 ins Deutsche übernommen werden. Es sei denn, man schreibt für Schlagersänger. Gilt auch für den Klassiker »outstanding quality«. Die kann man mit »herausragender/überdurchschnittlich hoher Qualität« zwar übersetzen, klingt aber im deutschen Text unsouverän und ranschmeißerisch. Entweder taugen die Produkte etwas oder nicht. Wenn ja, geht das aus den Produktbeschreibungen hervor. Wenn nicht, helfen auch keine Adjektive. To do: Inhalt sinngemäß erfassen und alles rausstreichen, was doppelt und dreifach gesagt wird. Auch die Adjektive, die braucht in dieser Menge kein Mensch. Jedenfalls nicht nüchtern. 2. Wer ist gemeint?Im englischen Original hüpft der Absender ständig auf eine neue Position. Zuerst spricht er von sich in der dritten Person als »the brand« und »its products«. Dann wird’s persönlich mit »Ihrem Lifestyle«, um gleich darauf wieder die dritte Person die »younger generation« zu bemühen und am Ende mit »our products« mal kurz in die erste Person zu huschen. Was für eine Rumrennerei, da verbrenne ich ja schon beim Lesen mehr Kalorien als ich esse. Ich habe mich für eine neutrale Anrede entschieden, da es sich um einen Text handelt, der nicht unnötig aufdringlich oder werblich klingen soll. Für die direkte Rede in der ersten und zweiten Person ist noch genug Zeit, wenn es um Kaufangebote und CTA geht. To do: Zu Beginn des Textes festlegen, wer mit wem spricht. 3. Satzbau rockt»Founded in« ist ein klassischer englischer Opener, mit dem traditionell Bandwurmsätze in About-Texten beginnen. In diesem Fall hatte der Wurm gewaltigen Appetit und wuchs auf 514 Zeichen Länge inklusive LZ an. Nicht schön, und nicht wirklich angenehm zu lesen. Der Mensch muss atmen, auch beim Scrollen. To do: Bandwurmsatz und dessen Inhalt in kürzere, sinnstiftende Sätze zerlegen. 4. Details, DetailsEin einleitender Halbsatz wie dieses »Founded in« steht im Deutschen keinesfalls am Anfang eines Satzes. Das fällt in die Kategorie »there’s no such thing as/es gibt keine solche Sache wie«. Es heißt auch nicht »Gegründet in 1992«. Dieses »in« gibt’s ebensowenig wie »makes sense« trotz hartnäckiger Wiederholung »Sinn macht«, sondern Sinn ergibt oder sinnvoll ist. Bitte merken: Auf Deutsch wird eine Jahreszahl nie von einer Präposition angeführt. Die Firma wurde 1992 gegründet, oder sie wurde im Jahr 1992 gegründet. Nicht in 1992. Ach ja, »to maximize contact« heißt nicht »Kontakt maximieren«. Diese Formulierung wäre nur korrekt, wenn es um eine Statistik zur Effizienz von Kontaktpunkten zwischen User und Marke/Absender ginge. Geht’s aber nicht, wie man aus dem Kontext ableiten kann. Gemeint ist die Annäherung über Verben wie begeistern/erreichen/begegnen. Apropos Details. Ein lebendiger Text enthält häufig Referenzen, die im echten Leben verankert sind. Berühmte Orte, Städte, Bauwerke, Namen, Stars, Vorbilder, vielleicht auch Filmtitel. Vertraute Avatare, die den Identifikationsfaktor beim Lesen unaufdringlich, aber spürbar erhöhen. Wenn in einem US-Text als Referenz für heldenhafte Leistung ein NBA-Star genannt wird, oder ein UK-Text auf ein erfolgreiches britisches Rennpferd referenziert, ist das für die jeweilige Zielgruppe eine greifbare Identifikation. Aber was tun, wenn mit den Namen außerhalb des Herkunftslandes keiner was anfangen kann? Eine Insider-Referenz zu übernehmen, die in den lokalen Märkten keinem was sagt, ist nicht nur sinnlos, es erzeugt auch Verwirrung. Verwirrte User werden selten Fans. Logisch, oder? Also kurz überlegen, wie man die Referenzierung im Text ersetzt. Dazu muss man sich in die Materie einfühlen und Alternativen finden. Wieder was, das Übersetzer schon aus Zeit- und Budgetgründen weder leisten können noch dürfen. Übrigens gilt auch hier die Handwerkerweisheit: Wer billig kauft, zahlt zweimal. Ja, eine Übersetzung von Landingpages oder ganzen Websites durch eine Billigagentur sieht im KV erstmal budgetfreundlich aus. Aber wenn die erhoffte Response ausbleibt, sich sachliche Fehler einschleichen oder sich die Kommentare in Social Media Posts auf Häme und Spott beschränken, macht das Übersetzungsschnäppchen keinen Spaß mehr. Auch dem Kunden nicht. Und wenn dann ein Texter das Ganze retten soll, kostet es mehr, als wenn er es gleich selbst geschrieben hätte. Isso. Deshalb: lokalisieren statt übersetzen.Im Idealfall mit einem Texter und Konzeptioner, der Englisch in Wort und Schrift sicher beherrscht. Auch umgangssprachlich, denn Digitaltext kommt nun mal mit einem anderen Look & Feel daher als gedruckte Literatur. Gleichzeitig sollte der Texter lange genug auf dem Gedankenstrich zuhause sein, um nicht mehr über Stilistik, Format, themenspezifische Semantik oder Userführung nachdenken zu müssen. Nur dann entsteht ein lokalisierter Text, der nicht klingt wie Autotranslate auf Meth, sondern wie taufrischer deutscher Originaltext. Yours truly. Text 2019 & 2025 © Kathrin Elfman; Bild Pixabay
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