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Aktuell ist ja mal wieder multimediales Onlineshopping-Bashing angesagt. Roter Faden in den Artikeln zum Thema: Der lokale Einzelhandel stirbt, und schuld sind die Onlinekunden. Die sind nämlich geizig, amoralisch, kulturlos und treiben die traditionellen Fachgeschäfte in den Ruin. Ein Satz, 23 Fehler. Aber der Reihe nach. Zum Thema einkaufen im deutschen Traditions-Fachgeschäft hätte ich zuerst einen kleinen Realitäts-Einlauf anzubieten. Vor einer Weile quittierten bei uns E-Herd, Kühlschrank und Kaffeemaschine relativ zeitgleich den Dienst. Nicht schlimm, schließlich hatten die Geräte bis zu 15 Jahre auf dem Buckel und waren ohnehin Stromfresser. Also furchtlos den Neukauf beschlossen. Und weil wir zwar Quantenphysik, Samplingraten, Weltliteratur und Glimmerkondensatoren kennen, aber von Küchengeräten keine Ahnung haben, wollten wir die neuen ganz klassisch im örtlichen Handel einkaufen. Weil man dort ja *kicher* kompetente, fundierte Beratung bekommt. Der Preis war uns relativ latte, es ging um gute Qualität. Und so stürzten wir uns optimistisch und kaufwillig in den Fachhandel. Ach, was waren wir naiv... Der kleine HorrorladenIm traditionellen Küchen-Fachgeschäft begrüßt uns folgendes Szenario: dunkler menschenleerer Laden mit chaotisch zusammengestellten Geräten, dazwischen Verpackungsmüll auf dem Boden. Keine Preise, keine technischen Beschreibungen an den Geräten, es sieht aus wie im Lager. Kuckuck, ist hier jemand? Ganz am Ende des Ladens erkennen wir ein Menschengrüppchen. Juhu, das muss das vielgepriesene hochqualifizierte Fachpersonal sein, freu. Entweder sind wir an diesem Tag unsichtbar, oder das Fachpersonal leidet an einer rätselhaften kollektiven Blind- und Taubheit. Also gehe ich hin und frage, ob uns denn bitte jemand behilflich sein könnte, wir bräuchten Herd und Kühlschrank. Einer der Mitarbeiter schaut unwillig über die Schulter, macht eine Handbewegung ins Weltall, murmelte etwas, das wie »dohinne « klingt und widmet sich wieder seinem Kollegentratsch. Nun denn. Statt dohinne (für Nicht-Hessen: Das heißt »da hinten«) gingen wir doraus und niggswieweg. Der etwas größere HorrorladenEin Besuch im Geiz-ist-geil-Markt. Ich spreche zwei Verkäufer an, ob sie uns bei der Suche nach Herd und Kühlschrank behilflich sein könnten. Fehlanzeige. Der eine ignoriert uns komplett und latscht an uns vorbei. Ich muss unbedingt rausfinden, ob das Unsichtbarsein in einem Kausalzusammenhang mit meinem Pulli steht, das könnte ein Bestseller werden. Der andere Verkäufer lehnt an einem Regal, schaut uns mit glasigen Augen an, schüttelt den Kopf und vertieft sich wieder in sein Handy. Also inspizieren wir das Sortiment auf eigene Faust und finden tatsächlich einen Herd, juhu! Da man den aber nicht mal eben so nehmen und an die Kasse tragen kann, spreche ich todesmutig ein drittes Mal einen Verkäufer an. »Nee, kaufen können Sie den nicht, der muss bestellt werden, kommt in sechs Wochen.« Sprach’s und lässt uns stehen. Ich schaffe es, das Geschäft zu verlassen, ohne versehentlich jemanden zu töten oder die Auslegeware anzuzünden, und setze den Laden auf meine Never-again-Liste. Zwischenbilanz des Tages: viel Zeit im Einzelhandel für nix verplempert, sinnlos Sprit verfahren, weder Beratung noch Küchengeräte erhalten. Wohlgemerkt: Wir reden hier nicht von einem Entwicklungsland, sondern von der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden! 1:0 fürs Onlineshopping. Geh nach Hause, Einzelhandel!Wieder zuhause schaue ich mal spaßeshalber im Shop des traditionellen Hamburger Katalogriesen mit vier Buchstaben nach. Der kann inzwischen auch digital, und wie. Die userfreundliche Seite lädt schnell und läuft flüssig auf allen Endgeräten, es gibt eine riesige Auswahl, vorbildliche Filterkriterien mit ergonomischer Suchmaske, vollständige technische Infos, herrlich. Gestöbert, einige Geräte rausgesucht, im Chat sowie per E-Mail kompetente und freundliche Beratung (!) dazu erhalten, Kaufentscheidung getroffen. Bei der Gelegenheit gleich noch zwei neue Lampen fürs Büro entdeckt und mitbestellt. Alles in weniger als einer Viertelstunde. Vom Sofa aus. Die Geräte werden pfeilschnell geliefert, zu uns in die Wohnung (4. Stock Altbau ohne Aufzug!) gebracht, dort vom mitgelieferten Elektriker fachgerecht angeschlossen, nachdem die Spedition netterweise auch gleich die alten Geräte ausbaut und samt Verpackungsmaterial der neuen abtransportiert. Nach einer halben Stunde sieht unsere Küche aus wie neu. Na bitte, geht doch. Und weil ja Probleme in Deutschland derzeit gerne als Einzelfälle weggelogen werden, statt sie ursächlich zu lösen: Nein, die beiden Grusel-Fachgeschäfte waren keine Einzelfälle. Exakt das Gleiche habe ich schon im Fachbereich Musikelektronik, Kosmetik, Textil, Lederwaren und Schreibwaren erlebt. Weshalb ich auch Anlage nebst Boxen, Pflegeprodukte, Mode, Taschen und Bürozubehör online kaufe. Denn im Handel auch hier: unqualifiziertes, schlecht gelauntes Personal, schmales Sortiment, null Beratung, wahlweise auch hochnäsige Verkäuferinnen, die aufgetakelten Kundinnen in den vermeintlich gut betuchten Hintern kriechen und andere Kundinnen stumpf ignorieren. Und dann halt den Deal mit meiner neuen Jacke nicht machen, die ich nach dem Anprobieren eigentlich direkt mitnehmen und bezahlen wollte. Aber nachdem Madame mich minutenlang stehen ließ und auf meine Anfrage, ob ich doch bitte mal eben schnell bezahlen dürfe, sogar noch pampig reagierte, bin ich gegangen und hab das schöne Teil online bestellt. Gleiches bei Parfums. Ich liebe die edlen, gut ausbalancierten seltenen Naturdüfte. Einen dieser Düfte gibt es bei einer bekannten großen Fußgängerzonen-Parfümeriekette jedes Jahr für wenige Wochen, ansonsten nur direkt beim Hersteller in Frankreich. Ich also hin und eingekauft – denkste. Im Regal steht nur ein alter schmutziger Tester. Aus dem stinkt’s brechreizerregend. Offenbar ist der Duft gekippt. Passiert leider bei Naturdüften, wenn man sie zu lange offen lässt oder zu warm lagert. In einer Parfümerie ist das allerdings ein No-Go, das Rückschlüsse auf die Kompetenz des Personals zulässt. Eine penetrant riechende Verkäuferin stöckelt mit Klacklackklack zu mir und schaut mich an, als habe ich von ihr verlangt, den Heizkörper abzulecken. Der Gestank aus dem Tester scheint sie hingegen nicht zu stören, vielleicht ist aber auch ihr Geruchssinn abgestorben? Ich frage sie, ob man den Duft denn in neu und frisch auf Lager habe, denn ich würde ihn gerne kaufen (wir sprechen von >160 Euro UVP pro Flacon!) Das wisse sie nicht, aber ob ich denn dieses und jenes kennen würde, das sei grade total angesagt. Bevor ich „nein danke” sagen kann, sprüht sie schon drauflos, und ich rieche nach einer Mischung aus Wunderbaum, Mottenkugeln und verwelkten Rosen. Auf dem Heimweg durch die Stadt ziehe ich eine Duftschleppe hinter mir her, die man vermutlich sehen kann. (Ich bitte an dieser Stelle die irritierte Hunde, verwirrten Bienen und den netten schwulen Eisverkäufer um Entschuldigung für diesen olfaktorischen Anschlag.) Nach der erlösenden Dusche schaue ich bei »Aus Liebe zum Duft« nach, einem gut gemachten Shop mit großer Auswahl an besonderen Düften und megafreundlichem Service. Fündig geworden, bestellt, happy. (Hier hat übrigens ein klassischer Einzelhändler das beinahe Unmögliche geschafft und sein Ladengeschäft um einen Online-Shop samt Blog ergänzt. Kreativ statt Konkurrenz, so gefällt mir das.) Ich bin früher sehr gerne einkaufen gegangen, konnte Ewigkeiten in schnuckligen inhabergeführten Boutiquen zubringen oder mir in der Edelpapeterie neues Schreibgerät und Kladden kaufen. Oh ja, ich hab viel Geld dort gelassen. Heute bekomme ich Beklemmungen beim Gedanken, die Fußgängerzone auch nur betreten zu müssen. Mal abgesehen vom deprimierenden Einheitsbrei aus Billigklamotten-Filialisten, Fast Food Ketten, Barbershops, Sportwetten- und Handyläden nervt auch das Publikum. Wer es ohne von multinationalen Diebesbanden oder aggressiven Kaufstuguddmatriahl-Dealern bedrängt zu werden von einem bis ans andere Ende schaffen will, muss im Stechschritt gradeaus laufen, den Blick stur in die Ferne gerichtet, seine Wertsachen diebstahlsicher am Mann. Statt gechillter Straßenmusik gibt’s Straßenkampf. Und da soll man »gemütlich shoppen«, damit der örtliche Handel nicht abkratzt? Nein, danke. Weißt du denn überhaupt, wie hart der Job im Einzelhandel ist?Ja, weiß ich. Nach dem Abitur habe ich in den 80ern eine Ausbildung zur Musikalienhändlerin im Einzelhandel für Professional Musical Equipment absolviert und mit IHK-Prüfung abgeschlossen. Dann gab’s ein berufsbegleitendes BWL-Fernstudium und einige andere Jobs, unter anderem als Filialleiterin und Substitutin in Geschäften verschiedenster Branchen. Hat Spaß gemacht, und ich hab viel gelernt. Auch, dass den Läden aus den 80ern und 90ern mitnichten der Onlinehandel den Garaus gemacht hat, sondern vor allem eine skrupellose Immobilienmafia, die im Windschatten korrupter Politiker im Laufe der Jahre obszön hohe Quadratmeterpreise durchsetzt, Fußgängerzonen gezielt verwahrlosen lässt (siehe oben) und alteingesessene Händler und Gastronomie mit Entmietungsaktionen zwecks Gentrifizierung vertreibt. DAS hat so manchen die Existenz gekostet. Der Online-Handel hat lediglich die immer breiter werdenden Lücken im Handel geschlossen. So wird ein Schuh draus. An die Schreihälse mit ihrem Gehetze gegen die großen Online-Shops: Bitte schaut in einer stillen Stunde mal nach, wie viele Anteile der Giganten in eurer Altersvorsorge, eurem Riesterprodukt, Fonds-Sparplan oder sonstigen Portfolios stecken. Denkanstoß zum Thema Doppelmoral. Oder dachtet ihr, die Rendite kommt von artgerecht gezupften Jutetaschen?! Und an die Massenmedien: Hört auf, Online-Kunden als Wurzel allen Übels zu verleumden und recherchiert anständig. Dann klappt’s vielleicht auch wieder mit höheren Auflagen und Abonnenten. Oder ist am Schmierblatt-Sterben etwa auch der pöhse Onlinehandel schuld? Nein, ist er nicht. Sondern eure in schlechtem Deutsch abgefasste, tendenziöse, verlogene Propaganda, für die kein denkender Leser auch nur einen Cent bezahlen will. Merkste selber, ne? © 2018 & 2025 Kathrin Elfman Bild: pixabay
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