»Wenn wir jetzt nicht handeln, verlieren wir alle in 12 Jahren den Boden unter den Füßen!« Mit diesem Satz eröffnet der renommierte Schwerkraft-Experte Prof. Dr. Viegmich den internationalen Schwerkraftschutzkongress. Journalisten aus aller Welt sind zur Präsentation der neuen Schwerkraftziele angereist. Vor dem Kongressgebäude versammeln sich schulpflichtige Schwerkraftaktivisten und skandieren Parolen wie »Wer nicht hüpft, der fliegt ins Weltall«, »Schwerkraftleugner jetzt enteignen« oder »Wahn statt Physik«. Einige Punkte sorgten bereits im Vorfeld für Diskussionen, zum Beispiel die geplante Einführung einer verbrauchsabhängigen Schwerkraftsteuer. »Alle wichtigen Spielzeughersteller sind sich einig, dass der menschengemachte Schwerkraftwandel akuten Handlungsbedarf impliziert«, erklärt Viegmich. »Schließlich wollen wir unseren Kindern einen bewohnbaren Planeten hinterlassen. Man stelle sich vor, nur noch schwebende Influencer bei Instagram! Grauenhaft! Könnten Sie mit dieser Schuld leben?« »Dafür sehen aber Barbara Schöneberger und Keith Richards aus wie neu«, wagt ein Pressevertreter zu kontern. Leider ist Dr. Viegmich nicht bereit, sich zu den Vorteilen einer abnehmenden Schwerkraft zu äußern. Auch der potenzielle Nutzen für Klaviertransporte, Stabhochspringer, Frauen mit Körbchengröße DD sowie Dachgeschossbewohner werden nicht erörtert. Stattdessen rückt Dr. Viegmich den steuerlichen Aspekt in den Fokus. Die verbrauchsbasierte Besteuerung von Schwerkraft sei zur Finanzierung der Schwerkraftziele unumgänglich. Schon viel zu lange würde die Massenanziehung in unbegrenzter Reichweite ohne Abschirmung unentgeltlich genutzt und ausgebeutet. »Allein in Wacken treiben jedes Jahr Zehntausende Metalfans den Schwerkraftverbrauch durch synchrones Headbangen in die Höhe«, klagt Viegmich. »Das darf so nicht weitergehen! Die gravitionellen Ressourcen des Planeten Erde sind ein kostbares Wirtschaftsgut, welches man verantwortungsvoll nutzen und verbrauchsabhängig besteuern muss. Dies ist im Sinne der Allgemeinheit und ein Beitrag zum Weltfrieden!« Viegmich begründet seine gewagte These sogleich mit einem Anwendungsbeispiel. »Übergewichtige Menschen und Headbanger verbrauchen nachweislich mehr Schwerkraft, als dies bei schwerkraftfreundlichen Lebewesen wie Unterwäschemodels oder Kaulquappen der Fall ist. Hier entsteht sozialer Unfrieden. Dieser kann durch eine verbrauchsabhängige Besteuerung verhindert werden.« Klingt einleuchtend. Wie sieht Prof. Dr. Viegmich das Problem von Steueroasen? »Natürlich gibt es Länder, in denen ganz viele dünne Menschen wohnen. Die verbrauchen weniger Schwerkraft und bezahlen folglich weniger Steuern. Auch werden Kaulquappen und Kreuzfahrtschiffe deutlich niedriger besteuert als Gummibärchen.« »Moment«, wirft ein Pressevertreter ein, »warum werden Kreuzfahrtschiffe steuerlich begünstigt? Die sind doch riesengroß!« »Denken Sie doch nach, Sie Pinsel«, antwortet Viegmich. »Kreuzfahrtschiffe schwimmen. Auftrieb und so. Dadurch verbrauchen sie von Natur aus wenig Schwerkraft. Und durch das Wasser, das sie verdrängen, entstehen hübsche Wellen. Über die freuen sich Menschen, gehen schwimmen, verbrennen Kalorien und verbrauchen hinterher noch weniger Schwerkraft als vorher. Win-win, Sie verstehen?« »Aber wieso Gummibärchen? Die können doch nichts für den Schwerkraftwandel. Sind klein und schön bunt!?« »Ja, und sie machen Menschen dick! Diese fettfreie Tortengrafik hier beweist, dass Gummibärchen zu den gefährlichsten Schwerkraftschädlingen gehören. Direkt nach Adventskalendern und Käsekuchen. Wir müssen endlich konsequent handeln und die Schuldigen nach dem Verursacherprinzip in die Pflicht nehmen. Nur so können wir unsere Schwerkraftschutz-Ziele bis 2030 erreichen! Wir dürfen dieses wichtige Thema nicht den Schwerkraftleugnern überlassen.« Für schwerkraftsparsame oder schwerkraftneutrale Verbraucher solle es hingegen Steuervorteile geben. »Wer beispielsweise nicht mit seiner Schwiegermutter oder zwei Rottweilern, sondern mit einem Wellensittich zusammenlebt, bezahlt weniger Schwerkraftsteuer.« Der Archäologe Dr. Markus Ausbuddel gibt sich kritisch und weist darauf hin, dass die Schwerkraft doch seit Abermillionen Jahren tadellos funktioniere, immerhin sei sie verantwortlich für die Entwicklung unserer Galaxie und lenke Planeten, Monde und Stechmücken. Viegmich begegnet dem Einwand gewohnt souverän. »Stimmt gar nicht. Pupsgesicht! Lesen Sie Ihr Horoskop. Da steht drin, dass die steuerlich festgelegte Durchschnittsgravitation von g = 9,80665 m/s2 bereits mehrmals aufgrund einer nicht ÄhUh-konformen Abweichung sowie schwankender Zentrifugalkräfte und Höhenprofile kawumm. Ja. Sehen Sie? Plüschkissen! Außerdem gibt es keine Stechmücken. Das haben Sie jetzt davon.« Während die Dolmetscher damit beschäftigt sind, politisch korrekte Übersetzungen für Pupsgesicht, Pinsel und Plüschkissen zu finden, meldet sich ein Journalist zu Wort und fragt, was Sumo-Ringer, Gesteinsprobensammler oder Elvis tun sollen, falls sie sich die anteilige Schwerkraft-Steuer nicht leisten können. »Da bleiben wir ganz fair«, antwortete Viegmich salbungsvoll. »Wer die Schwerkraftsteuer nicht bezahlt, hat jederzeit die Möglichkeit, freiwillig auf die Nutzung von Schwerkraft zu verzichten.« Ein Kollege aus dem Finanzwesen ergänzt: »Natürlich gibt es Ausgleichsmodelle für alle, die ihren Schwerkraftverbrauch nicht senken können oder wollen. Die Kapitalgesellschaft Black Blob legt heute das erste Kontingent an Schwerkraft-Zertifikaten auf. Damit können schwerkraftfreundliche Verbraucher ihren nicht genutzten Schwerkraft-Überschuss in einen Fonds einzahlen und an Großverbraucher verkaufen. Aus den kumulierten Werten ergibt sich eine für beide Seiten zumutbare Besteuerung. Gleichzeitig bieten Schwerkraftzertifikate eine planetenbewusste, nachhaltige Investitionsmöglichkeit für Privatanleger.« Eine kleine Gruppe Schwerkraftaktivisten ist ebenfalls zur Konferenz eingeladen. Die Jugendlichen müssen heftige Kritik einstecken, weil sie durch exzessive Hüpfen und auf-der-Straße-kleben in den vergangenen Monaten unverantwortlich viel Schwerkraft verbraucht haben. Eine Aktivistin fragt schuldbewusst, wie man im Alltag seinen Schwerkraftverbrauch senken könnte, ohne auf lebenswichtige Aktivitäten wie Hüpfen, Kleben und Rumbrüllen verzichten zu müssen. »Das ist eine sehr gute Frage«, sagte Viegmich. »Leider haben wir es häufig mit Schwerkraftleugnern zu tun, die behaupten, die Schwerkraft reguliere sich selbst, und man dürfe in die Natur nicht eingreifen. Dabei weiß jeder, dass das nicht stimmt.« »Können Sie das an einem Beispiel belegen?«, fragt die Aktivistin. »Gerne. Nehmen wir die Sommerferien. Da fahren Millionen Menschen in den Urlaub, und dann kippt die Erde nach Süden. Braucht kein Mensch. Also besteuern wir die Schwerkraftsünder so, dass sie sich keinen Urlaub mehr leisten können. Und jetzt raus hier, alle!« Gegen Viegmichs souveräne wissenschaftliche Expertise haben auch die größten Kritiker keine Argumente mehr, und so endet die Konferenz in jeder Hinsicht erfolgreich. Fassen wir zusammen: Der menschengemachte Schwerkraftwandel kann durch weniger Headbangen, eine neue Steuer sowie das sofortige Verbot von Käsekuchen und Adventskalendern verhindert werden. Update: Neuesten Gerüchten zufolge soll auch die Nutzung von Fliehkräften der Erdrotation strenger reglementiert werden, um ein nachhaltiges Rumkugelverhalten des Planeten sichern zu können. Text © Kathrin Elfman 2013 & 2025 Titelbild: Pixabay
Permalink: https://kathrinelfman.weebly.com/neuigkeiten/schwerkraftwandel Rebloggen/verlinken gerne. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie jede Bearbeitung und Weiterverwendung nur nach schriftlicher Genehmigung durch mich.
0 Kommentare
Ihr Kommentar wird veröffentlicht, sobald er genehmigt ist.
Antwort hinterlassen |