12/2/2016 Essay: »Wenn du Scheiße laberst, dann laber deine EIGENE Scheiße. Keine Copy-Paste-Scheiße von irgendwelchen Idioten!«Read Now »Wenn du Scheiße laberst, dann laber deine eigene Scheiße. Keine Copy-Paste-Scheiße von irgendwelchen Idioten!« Essay von Kathrin Elfman © 2016 Ja, verehrter Leser, der Titel ist derb – und genial. Das Dialogfragment stammt von zwei jungen Männern, deren Unterhaltung ich neulich in der S-Bahn mithören durfte. Gefällt mir. Denn es enthält Klarheit und Wahrheit, die ich in unserer politisch korrekt zurechtgedengelten Gesprächskultur oft vermisse. »Meine eigene Scheiße? Alter, was meinst du?« »Was ich mein? Ich will wissen, was DU meinst.« »Hab ich doch grade gesagt.« »Nee, hast du nicht.« »Hä?« »Du hast nur gesagt, was die Tussi im Fernsehen gesagt hat. Nicht das, was du meinst. Das Gleiche kannst du gar nicht meinen. Die war total verstrahlt und hat nur Bullshit geredet. Also, was meinst du?« »Kapier ich nicht.« »Genau das mein ich.« Gar nicht so dumm. Und gar nicht so neu. 1927 schrieb Hermann Hesse: »Zehn Minuten las ich in einer Zeitung, ließ durch das Auge den Geist eines verantwortungslosen Menschen in mich hinein, der die Worte anderer im Munde breitkaut und sie eingespeichelt, aber unverdaut wieder von sich gibt.« (Der Steppenwolf) Laber deine eigene Scheiße. Ich finde das so herrlich punktgenau. Auch wenn ich davon ausgehe, dass die beiden nicht direkt das Thema Sprachforschung auf dem Schirm hatten – ich möchte diesen Rat gerne an Sie weitergeben. Er ist wichtig, denn er betrifft Sie ganz persönlich. Denn vor das »eigene Scheiße Labern« haben die humorvollen Götter des Kommunikationswesens das »eigene Scheiße denken Können« gesetzt. Abrakadabra: Ich erschaffe, was ich spreche. Oder auch nicht. Die deutsche Sprache enthält eine verschwenderische Fülle an Ausdrucksmöglichkeiten, Varianten, Synonymen, Bildern und Metaphern. Weshalb wir (theoretisch) imstande sind, jedes Gefühl, jeden Sachverhalt und jede Befindlichkeit artikulieren zu können. Was automatisch zu einer ebenso fein differenzierten Wirklichkeitswahrnehmung führt und letztendlich zur Fähigkeit, diese Feedbackschleife in kreative Werke der Wissenschaft, Kunst oder Musik münden zu lassen. Genau auf diesen äußerst potenten Reichtum unserer Sprache haben es einige finstere Zeitgenossen abgesehen. Wenn Sie älter sind als 45, dann ist Ihnen gewiss nicht entgangen, dass die Sprache der Massenmedien sich auf einem Niveau befindet, das man nur noch als ärmlich bezeichnen kann. Selbst eine Tagesschau-Moderation aus den 80er Jahren wirkt sprachlich so anspruchsvoll, dass sie von vielen Zuschauern heute nicht mehr verstanden würde. Ganz zu schweigen von deutscher Belletristik, die durch das sogenannte »Unterhaltungs«-Segment in Verlagen und Medien ersetzt wurde. Unterhaltung, welch ein Hohn. Salatgurken unterhalten sich geistreicher! In den letzen 12 Monaten hat dieser Trend Fahrt aufgenommen. Stärkstes Killerwerkzeug ist paradoxerweise nicht die inhaltliche Absurdität des Spiegel-Welt-Zeit-FAZ-BILD-TV-Geseieres, sondern die Sprache, in der die Quasi-Inhalte vermittelt werden. Das, was uns heute auf den Meinungsmacherkanälen entgegenschwappt, ist nicht mehr unsere reiche, schöne Muttersprache. Es ist eine von geisteskranken Kriegstreibern ausgedachte, künstliche, infantil-rabulistische, bevormundende Pseudosprache. Und hier liegt die eigentliche Schweinerei. Diese Pseudosprache, dieses verkrüppelte widerwärtige giftige Ding, es ist weit mehr als nur schlechter Stil oder unschöne Semantik. Es ist ein Anschlag auf Ihre, meine und unser aller geistige und emotionale Gesundheit. Genau dafür möchte ich Sie sensibilisieren. Denn hier gilt wie so oft bei Bewusstwerdungsprozessen: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Schließlich kann jeder selbst entscheiden, wessen »Scheiße er labert« (um im Slang der beiden Inspiratoren zu bleiben), sprich, welcher Sprache er sich im Alltag bedient. Dass immerhin einer der beiden die aktuelle Mediensprache als »total verstrahlt« und »Bullshit« abwatschte, erfreut mein Herz. Es bedeutet, dass der vielzitierte Mensch auf der Straße respektive in der S-Bahn doch nicht so degeneriert ist, wie Medien, Meinungsmacher und Kriegstreiber ihn gerne hätten. »Gewöhnlich stehen nicht die Worte in der Gewalt der Menschen, sondern die Menschen in der Gewalt der Worte.« (Hugo von Hoffmannsthal) Sprache rockt das Leben. Ein Gedanke, der Form annimmt. Eine SMS, Mail, PN oder Whatsapp, die unvermutet eintrudelt und eine Verbindung höher schwingen lässt, obwohl sie eben noch im Standby-Modus war. Digitales Gammafeuer, das Gefühle auszulösen imstande ist. Halbe Sätze, die man nicht zu vervollständigen braucht, weil der Empfänger weiß, wie sie gemeint sind. Andeutungen, Liebeserklärungen, private Witze. Inhalte, die jenseits objektiver Informtionen liegen. Eben »eigene Scheiße«. Sowas fördert Verstandenfühl, Vertrauen, Intimität, Resonanz, definieren Ton und Klima in einer sozialen Zelle, in der alle Beteiligten sich verstehen (sic!) und dieselbe Sprache sprechen (doppelsic). Wer Gesprächspartner hat, von denen er sich verstanden, gesehen, akzeptiert fühlt, ist von außen wenig bis gar nicht manipulierbar. Diese gefühlte Verbundenheit ist ein wertvoller Instinkt, der zu Stabilität, Stärke und Unangreifbarkeit einer Gemeinschaft führt. Der wunderbare Wolf Schneider schreibt in »Wörter machen Leute« auf Seite 33: »Am Anfang der Wortgeschichte stand das egozentrische Element: Jedes Wort war einmal der Einfall eines Einzelnen oder einer kleinen Runde.« Leider wird genau dies im gesellschaftlichen Dialog gerne als unerwünschte Abgrenzung, als Teile-und-Herrsche-Symptom umgedeutet. Propaganda-Organe geben sich allergrößte Mühe, mit »wir sind alle gleich, lalalaaaa…«-Gesäusel jede Definition von Individualität und echter zwischenmenschlicher Verbundenheit verschwinden zu lassen. »Ihr seid beste Freunde und teilt Geheimnisse? Ihr bereichert eure Sprache mit Insider-Witzen, Spitznamen, kuriosen Wörtern und liebevollen Codes, die außer euch keiner versteht? Dudududu, das ist verboten, Ausgrenzung und pöhse. Benutzt gefälligst die neue Standardsprache und lasst das vertrauliche Geflüster!«, plärrt der Große Bruder aus dem Wahrheitsministerium. Klingt vertraut, oder? Ein ganz besonders abgefucktes Exemplar von Manipulator äußerte sich bereits in ähnlicher Weise: »Das ist das Geheimnis der Propaganda: den, den die Propaganda fassen will, ganz mit den Ideen der Propaganda zu durchtränken, ohne dass er überhaupt merkt, dass er durchtränkt wird.« (Joseph Goebbels am 25. März 1933 an die Rundfunkintendanz) Lassen Sie diesen Satz bitte auf sich wirken, damit Ihnen bewusst wird, wie aktuell er ist. Diese böse Saat wird aufgehen, wenn nicht alle so gut aufpassen wie die Jungs in der S8. Menschen, die das Umerziehungs-Geistesgift in sich aufnehmen, reden nicht mehr »ihre eigene Scheiße«. Weil sie dafür keine Worte mehr haben. Sie rezitieren anderer Leute Scheiße, zensieren sich selbst, übernehmen die neue, künstliche blutleere, soziotoxische Art zu reden bis ins Privateste hinein, ordnen ihre Wahrnehmung dieser kranken, ärmlichen Kunstsprache unter. Prima geeignet für Double Bind und Hasspropaganda. Und die für Zerstörung zwischenmenschlicher Verständigung. Neusprech und Double Bind – echt jetzt!? Nach der Feminismuskeule, der Nazikeule und der/die/das Gender*Innen_keul*InX wird die vierte Killerwaffe gegen unsere Sprache in Stellung gebracht: die Bildungskeule. Kampfplatz ist nicht der Inhalt, sondern die intellektuelle Meta-Ebene. Egal, um was es geht: Wer in ganzen Sätzen spricht, gutes Deutsch verwendet und aus Präzisionsgründen auch vor der Verwendung des Genitivs sowie Metaphern und Synonymen nicht zurückschreckt, wird als Klugscheißer verhöhnt. Allerdings nicht von den Rezipienten, sondern in den Medien. Klug ist bäh, dumm ist schick. Klappt nur nicht so ganz. Dass die angepeilte Zielgruppe das anders sieht, lässt sich an den meterlangen Kommentarstrecken unter den Auswürfen der Massenmedien ablesen, in denen die Leser den Verfassern das billige, manipulative Geschreibsel um die Ohren hauen. Stichwort »barrierefreie Sprache«. Unter diesem Begriff versuchen derzeit einige Zeitgenossen, ein wahrhaft groteskes Programm zu installieren, gut camoufliert unter dem Deckmäntelchen der zeitgemäßen Sprachentwicklung fordert es beispielsweise das Ausmerzen von Bildsprache und Metaphern, Relativsätzen, Synonymen, Ironie, Sarkasmus, Wortwitz, Allegorien und vielen weiteren Grundstoffen, die unserer Sprache ihre Dialogstärke, Saftigkeit und Dynamik verleihen. Ferner soll für jeden Satz eine neue Zeile begonnen und auf sinnstiftende Zeichensetzung verzichtet werden. So weit, so brech. Und wer verwendet nun diese verstümmelte Deppensprache? Die gute Nachricht: Kein Mensch. Nur auf einigen institutionellen Websites findet sich dieser unmenschliche Stil, ebenso in Schriftstücken und auf Medienplattformen einiger politischer Organisationen. Aber sonst? Fehlanzeige. Echte Menschen im echten Leben sprechen und schreiben nun mal, wie sie wollen, und nicht, wie sie sollen. Labern ihre eigene Scheiße. Uff, nochmal gutgegangen. Oder? Um den kürzlich verstorbenen Roger Willemsen zu zitieren: »Es ist eine andere Welt, in der man zwischen Freiheit und Freizeit nicht unterscheidet, Gesellschaft sagt und Zielgruppe meint, von einem Konzept spricht, aber nicht einmal eine Idee hat, und von Ideen spricht und nicht einmal einen Einfall hat.« (Roger Willemsen) Die Vision der irren Fanatiker glimmt bereits als Hologramm am Horizont: Unsere bunte, geistig wie kulturell hochstehende, vielfältige Gesellschaft zerfällt in ein Heer zerstrittener, missverstandener, stummer einsamer ängstlicher Menschen, die (ver)führbar und manipulierbar sind. Genau diese Menschen braucht man, wenn man eine Ideologie, einen Krieg oder politischen Extremismus verkaufen will. So zumindest der feuchte Traum einiger geisteskranker Kriegstreiber. Ob es ein feuchter Traum bleibt? Das liegt nicht zuletzt an Ihnen, lieber Leser. Verstümmelte Sprache erzeugt verstümmelte Menschen. Aber nur, wenn sie es mit sich machen lassen. Die deutsche Sprache ist eine der tiefgründigsten, wenn nicht sogar die tiefgründigste der Welt. Alle Gedanken, Ziele, Visionen und Träume unserer Ahnen und einige der bedeutendsten wissenschaftlichen, literarischen und philosophischen Werke aller Zeiten sind daraus entstanden. Ihr Reichtum, ihre Kraft und Tiefe sind im kollektiven Sprachschatz verankert; abrufbar für jeden, der darauf zugreifen möchte. Kostet nichts, zahlt sich aber aus. Wer sich die Fülle unserer Sprache erschließt und zu eigen macht, kann sich nicht nur klarer und zielführender artikulieren, er hat auch eine klarere, deutlichere Wahrnehmung als – Moohoomentchen, wie war das: Sprache verändert Wahrnehmung? Nach dem Motto »Woher soll ich wissen, was passiert, wenn ich es nicht reflektieren und benennen kann?« Genau. Es ist wichtig, diesen Zusammenhang in seiner gewaltigen Dimension zu begreifen: Wirklichkeitswahrnehmung kann immer nur so differenziert sein wie die zur Verfügung stehenden »Decodierer« es zulassen. Wer seine Sprache immer mehr reduziert, beschneidet, verkümmern lässt, der degeneriert auch gedanklich, emotional und sozial. Denn ihm geht die Fähigkeit verloren, seine eigenen Gedanken und Gefühle im Dialog mit sich selbst und anderen Menschen zu reflektieren, geistig fruchtbare Bindungen einzugehen, Ereignisse zu hinterfragen, Informationen zu verarbeiten und sich mit Sachverhalten zu beschäftigen, die außerhalb des eigenen Horizonts liegen. Alles futsch, Dschungelcamp. Und wo wir bei unschönen Szenarien sind: Wussten Sie, dass ein kreativer, bereichernder Umgang mit unserer Sprache nicht nur unerwünscht ist, sondern neuerdings sogar als psychische Krankheit gilt? Es klingt wie aus einem Dystopien-Scifi: Kindern, die sich neue Wörter ausdenken (Neologismus), wird nicht etwa Phantasie, Kreativität und Intelligenz attestiert, sondern bei einem sog. Psychopathologischen Befund gem. AMDP eine formale Denkstörung. Neologismus gilt tatsächlich als Indiz bei der Diagnose einer Schizophrenie. Übrigens auch bei Erwachsenen. Wenn das mal kein Angstmacher ist … Und schon sehen wir den feuchten Traum Nr. 2 der Kriegstreiber: Statt kreativer wissbegieriger Kinder werden geistig unterforderte Industriesklaven-Zombies gezüchtet, die zwar nicht mehr wissen, wie man eigene Gedanken formuliert, aber schon mit 9 Jahren Hedgefonds managen, Befehle befolgen und Drohnen steuern können. Schöne neue Welt. Denglisch, oder: Thanks, mir is already schlecht. Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, englische Texte für Websites, Print und ePapers ins Deutsche zu überführen. Was mir und meinen Kunden großes Vergnügen bereitet. Denn ich übersetze die englischen Texte nicht einfach. Da käme genau jener Murks raus, der manche Newsletter, Artikel und Websites so nervig macht – verquaste Texte, die keiner versteht. Beispiel: Wer »There’s no such thing as moderate free speech« übersetzt mit »Es gibt keine solche Sache wie moderate freie Rede« ist entweder ein Ü-Bot oder ein Mensch, dem bereits erfolgreich jegliches Sprachgefühl aberzogen wurde. »Keine solche Sache«, was soll das sein? Und »freie Rede?« Gibt’s auch unfreie Rede? Hat sie sich im Keller eingesperrt? Free speech bedeutet Redefreiheit bzw. freie Meinungsäußerung. »No such thing« ist eine Emphasis, die das Wörtchen »no« ein bisschen unterstreichen soll, aber im Deutschen unnötig ist. Der Satz lautet auf Deutsch »gemäßigte freie Meinungsäußerung gibt es nicht«, und zwar weil das wie gemäßigt schwanger oder gemäßigt tot ein Paradoxon wäre. Bei mir klingt das anders als bei einem Übersetzer. Ich erfasse zuerst die englischen Texte inhaltlich, steige in die Themen- und Produktwelt ein, identifiziere Absicht und Stimmung, in der sich der Absender artikuliert hat, und texte das Ganze anschließend nochmal für eine deutsche Sprachumgebung. So, dass die Texte nicht nach Übersetzung klingen, sondern wie taufrisch geschriebene deutsche Originale. Inhaltlich und stilistisch rund, lesefreundlich und aufs Deutsche abgestimmt. Schließlich sollen ja deutsche Leser drauf abfahren. Wichtig sind nicht nur die Fakten. Auch der Sprachgenuss zwischen den Fakten entscheidet über die Wirkung. Zum Beispiel der bei US-Textern so beliebten Bandwurmsatz, gerne in Kombination mit Adjektiv-Inkontinenz. Diesen Schlingel zerlege ich zur besseren Lesbarkeit in mehrere klar verständliche Einzelsätze. Auch die meisten amerikanischen Adjektive fliegen raus, da sie idR recht schwache Füllwörter sind, die wir im Deutschen schöner können. Oder die liebevolle Macke der Briten, ihre Texte bei jeder noch so unpassenden Gelegenheit mit Ironie zu würzen. Klasse, goldig, und praktisch unübersetzbar. Also finde ich deutsche Entsprechungen dafür, damit die Goldigkeit auch im deutschen Sprachraum funkelt und verstanden wird. Und falls Sie jetzt anmerken, das seien doch »nur« Details, dann möchte ich gerne mit einem Zitat aus »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« antworten: »Ein Hauch unseres Mundes wird das Gemälde der Welt; von einem bewegten Lüftchen hängt alles ab, was Menschen je auf der Erde dachten, wollten, taten und tun werden.« (Herder, 1785) Von Lichtarbeitern, Energieausgleich und innovativen Technologien Ein ulkiger Trend ist zur Zeit in der Eso-Szene zu beobachten. Ausgerechnet hier wird nicht mehr klar gesprochen. So wimmelt es beispielsweise von »Lichtarbeitern«. Diese sind aber nicht etwa als Elektrotechniker oder Bühnenbeleuchter tätig, sondern verleihen sich dieses schmusige Titelchen aufgrund vermeintlicher spiritueller Kompetenz. Außerdem fordern diese Lichtarbeiter im Gegensatz zu Beleuchtungstechnikern für ihre Leistungen und Produkte kein Geld, sondern einen »Energieausgleich«, reagieren aber verschnupft, wenn man das wörtlich nimmt und ihnen ein Ladekabel für die Autobatterie oder einen Griff an den elektrischen Weidezaun anbietet. Wenn’s ganz crazy sein soll, wird sich gleich gänzlich vom Geschriebenen und Gesagten distanziert, indem man es als »gechannelt« bezeichnet. Schon kann man sich mit dem allergrößten Nonsens aufplustern, ohne sich Fragen nach Kohärenz oder Wahrhaftigkeit stellen zu müssen. Ich war das nicht, ich hab das nur gechannelt, mimimi. Gechannelt werden übrigens immer nur Botschaften von unheimlich coolen Typen. Außerirdische Wesen, ägyptische Götter, galaktische Föderationen, Engel oder Elvis. Was eine peruanische Bäckerin oder eine kasachische Holzhändlerin zu sagen hätte, würde mich interessieren, aber die »channelt« irgendwie keiner. Noch ein vergleichsweise kleines, aber omnipräsentes Beispiel aus der Wirtschaft: »innovative Technologien«. Klingt schick, modern und teuer, nicht? Von Zahnbürsten bis Klimaanlagen werden Produkte damit beworben. Aber was bedeutet es konkret? Sie ahnen es: nichts. Die Formulierung ist informationsfrei. Zunächst ist entgegen der landläufigen Interpretation eine Innovation keine Invention (Erfindung), sondern abgeleitet von innovare (erneuern) eine neue Idee, die Gestalt angenommen hat und in Form eines Produkts oder einer Leistung zur nützlichen Anwendung gelangt ist. Technologie bzw. Technik ist ebenfalls Anwendung. Innovative Technologie wäre demnach angewandte Anwendung. My brain hurts. Hier sind wir wieder bei »laber deine eigene Scheiße«. Nur weil branchen- und marktübergreifend solche Floskeln en vogue sind, müssen Sie es nicht ebenfalls tun. Es sei denn, es ist die Wahrheit. Ein Fotograf, der ein Shooting im Tausch gegen eine Reiki-Session durchführt, erhält im engeren Sinne tatsächlich einen Energieausgleich. Und ein Handwerksbetrieb, der Prototypen und Sonderanfertigungen baut, darf sich völlig zu Recht als innovativ bezeichnen. Ein Unterhaltungselektronik-Marke, die millionenfach bewährte Technik in neue Gehäuse pflanzt, ist clever und effizient, aber nicht innovativ. Eine Marke, die nicht weiß, wer sie ist, weil sie ihre eigene Sprache verloren hat, verliert auch mächtig an Anziehungskraft für potenzielle Kunden. Lassen Sie mal spaßeshalber den genialen Claim »Vorsprung durch Technik« gegen »Vorsprung durch innovative Technologien« auf den Synapsen tanzen. Fick dich, Neusprech! Nochmal zu den Jungs in der S8. Schälen wir aus der kernigen Empfehlung die Kernbotschaft raus, dann lautet die: »Sage, was du denkst und meine, was du sagst.« Damit hätten wir’s auch schon. So einfach ist das. Klarheit und Wahrhaftigkeit in der Sprache bilden die Basis und den Anfang jeder positiven Veränderung. Sobald wir etwas denken und formulieren können, ist es auch machbar. Kein Eso-Spruch, sondern ein Naturgesetz. Lassen wir uns diese Basis nicht kaputtmachen, verdammtnochmal! Ja, auch Flüche und kreative Beleidigungen gehören zur deutschen Sprache, du kaum spaltbare, vor dich hin oxydierende kristalline Substanz! Wer zwanghaft jede Arschgeige zur Gesäßvioline versoftet, kastriert sich selbst auf Artikulations- und Wahrnehmungsebene. Kann man machen. Macht aber keinen Spaß. Wir haben diesen weltweit einzigartigen, unermesslich reichen, wertvollen Wortschatz, also benutzen wir ihn! Gerade jetzt, in Zeiten, in denen Kriegstreiber und machtgeile Irre uns von allen Seiten gängeln, knebeln, maßregeln, manipulieren und stumm halten wollen, damit wir ihrem psychopathischen Geschrei nichts entgegensetzen, ist es elementar wichtig, dass wir uns an unsere Sprache erinnern. Sie ermöglicht uns vollkommene geistige Freiheit und Immunität gegen die alltäglichen Medien-Gehirnwäsche. Wenn wir unsere Sprache als machtvolles Werkzeug pflegen und handhaben, können wir uns damit uns aus jeder noch so finsteren Situation rausgraben. Was glauben Sie, warum sie so massiv bekämpft wird? Weil ihr diese ganz spezielle Stärke, Unbeugsamkeit und Wahrheitsliebe innewohnt, vor der jeder Intrigant zittert. Die süffig-opulente, lustvolle Lebensliebe, die jedem Gedanken, jedem Wort, jeder Metapher ihre Dynamik und Durchschlagskraft verleihen, sie ist in unserer Muttersprache enthalten und wartet darauf, benutzt zu werden. Damit wir »unsere eigene Scheiße labern« können. Leben wir! Reden wir miteinander! Sagen wir, was wir denken und meinen wir, was wir sagen! Tun wir’s doch einfach. Machen wir uns lächerlich mit direkten, ungekünstelten, liebevollen, wütenden, romantischen, albernen, politisch unkorrekten E-Mails und Briefen, rempeln wir die Verstummten und Ängstlichen an mit wahrhaftigen Texten, ehrlichen Websites, phantasievollen Büchern, hören wir auf zu schauspielern und feiern die Unsicherheit, das Lampenfieber, den Zorn, die offenen Fragen, das »was wäre wenn«, die schrägen Gedanken. Trinken wir Fassbrause aus dem Heiligen Gral, schneiden wir mit Excalibur ofenfrische Brezeln, holen uns mit vollen Händen das Rheingold aus dem Fluss. Es ist alles da. Schreiben und sagen wir, was wir wirklich, wirklich meinen, träumen, denken, fühlen, mitteilen wollen. Aaaah, süße Freiheit. Mit großem F. »Worten ist eine große Macht zu eigen, wenn sie mit Konzentration und starkem Verlangen, mit der rechten Absicht und gläubiger Zuversicht gesprochen werden. Wenn diese vier Dinge gegeben sind, wird die vernünftige Seele bald dazu gebracht werden, ihrem Wert und Wesen gemäß zu wirken, und zwar nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf die Außenwelt.« (Roger Bacon, englischer Forscher und Philosoph 1214-1292) Alles Liebe! Fotos: freeimages.com/Simon McEldowney/Miare PS: Falls Ihnen die Worte fehlen ... ... zum Beispiel auf Ihrer Website, bei einer Rede oder in Ihrer Korrespondenz: Nur Mut, ich garantiere Ihnen, tief in Ihrem Herzen wissen Sie bereits, was Sie sagen wollen. Was Sie nicht brauchen, ist jemand, der Ihnen einen aalglatten Werbetext schreibt und Ihnen eine rundgelutschte Sprache überstülpt, die zwar fluffig tönt, aber nichts mit Ihnen oder Ihrem Unternehmen zu tun hat. Ich helfe Ihnen, Ihr Anliegen in ehrliche, klare Worte zu fassen, die Ihre Persönlichkeit reflektieren und zu Ihnen passen. Schicken Sie mir ein Lebenszeichen!
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