Über die ubiquotöse Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit wird viel geschrieben, philosophiert und regalmeterweise Regelwerk erstellt. Wie sich diese Trennlinie anzufühlen hat, weiß ich trotzdem nicht, denn: Es gibt sie in meinem Leben nicht. Ich arbeite ständig, und ich bin ständig »privat«. Ich atme auch ständig ein und aus. Dann hatte ich eine Begegnung der skurrilen Art in der 17. Etage eines Hamburger Bürogebäudes ... weiterlesen
Als ich 12 Jahre alt war, habe ich »Das schwarze Loch« in West-Berlin im Kino gesehen, 650 Kilometer fern der süddeutschen Heimat. Es handelt sich um Science Fiction, die heute als Kult gilt, damals aber im Star-Wars-Fahrwasser unterging. Für mich ein eindrucksvolles Erlebnis. Einmal der Inszenierung wegen, auch wegen der Musik von John Barry, aber ganz besonders wegen Maximilian Schell. Er spielte die Figur Dr. Hans Reinhardt, mit der ihm eigenen Präsenz. Die Figur barg Facetten, die kontraststärker nicht sein könnten: Genie, Wahnsinn, Neugier, Unsicherheit, Allmachtsphantasie und gleichzeitig die größte Einsamkeit, die ein Mensch empfinden kann ... weiterlesen
Textwerk: »Ich mache mir ein Bild von dir« Mein Thema heißt »Liebe, Beziehungen und metasoziale Implikationen in virtuellen sozialen Netzwerken sowie Abstraktion emotionaler Strukturen im Web 2.0«. Im Sommer 2008 entstand hierzu das Hörwerk »Ich mache mir ein Bild von Dir«. Text & Sprache von mir, Soundscapes & Musik von Klaus P. Rausch.
Computerliebe, oder: Ich mache mir ein Bild von dir »Alles Gedachte bleibt irreal.« Dachte Nietzsche. Und lag damit völlig falsch. Das Gedachte wird nicht nur real, es hat inzwischen sogar die göttliche Schöpfung abgelöst. Diese grelle digitale Finsternis, die uns umgibt, sie ist vollkommen. Alles, was Licht erzeugen könnte, haben wir vergessen. Wir wollten es so; dieser Abschied vom Menschsein, er fiel uns leicht. Wir sind Meisterfälscher einer Welt, in der Liebe ein Wort und Leben das Leugnen universeller Wahrheit ist; nur der Gedanke, der allem zugrunde liegt, er bleibt und wartet in der Schwärze darauf, dass wir uns erinnern. Irgendwo dort bist auch Du. In welcher Gestalt, ich weiß es nicht. Ob wir uns wiedererkennen? Ich suche Dich und mache mir ein Bild von Dir. Ein Wort, ein Hinweis, Töne, Farben, Resonanz. Die Ausdrucksform ein göttliches Geschenk? Oder wohlüberlegte Wahl der Waffen? Vielleicht die elitärste Form der Kommunikation, da sie die Hürde des Fühlenkönnens dem Verstehenkönnen voranstellt. Ist es das: Wer sie zu nehmen weiß, versteht? Und wer nicht, erliegt der Angst vor dem Fühlen? Hält an seiner Programmierung fest? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Ich mache mir ein Bild von Dir. Diese Sehnsucht nach Erkanntwerden und erkennen ist wie ein wohltuender Phantomschmerz. Ich mache mir ein Bild. Und dann? Gedachtes mag irreal bleiben, aber es bleibt. Es verrottet nicht im Äther. Es erlangt eigenes Sein, manifestiert sich, wird fühlbar – und Gefühltes ist immer wirklich. Oder? Tun wir uns was Gutes und genießen ein Konzert mit, let’s say, einer grandios singenden Cassandra Wilson und 10.000 Fans. Objektive Realität? Im Leben nicht. Jeder sieht, was er aufgrund seiner Referenzerlebnisse zu sehen imstande ist. Nun gibt es auf dieser Erde keine zwei Menschen mit identischen Referenzerlebnissen. Also wird aus der einzigartigen Cassandra eine Kopiervorlage für 10.000 verschiedene Varianten. Alle auf ein und derselben Bühne. Das Gerangel ist nur deshalb keins, weil sich ein Riesenhaufen Menschen im Wollen und Wünschen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt hat. Ich mache mir ein Bild von Dir. Wir treffen uns im virtuellen Raum. Einem Raum, der Bilder anstelle von Menschen und Avatare anstelle von Seelen beherbergt. Beschreibungen von Gefühl statt echte Empfindungen. Volle Bildschirme, leere Räume. Leere … Eine mit Gedanken und Schöpfungsenergie angefüllte Leere. Was passiert mit dieser Energie? Wir erschaffen Momentaufnahmen von Dingen, Gefühlen, Situationen, Persönlichkeiten, ohne Bezug zum universellen Entstehen und Vergehen. Bilder als Gegenteil von lebendigem Sein. Ich mache mir ein Bild von Dir. Immer liebensgefährlich. Weil »es« zu Ende zu denken auch bedeutet, sich mit dem Danach auseinander zu setzen. Vom Fragen über verzehrende Sehnsucht zu brennender Wut und schließlich zur Wahrheit. Keine Firewall, keine Armee verteidigt eine suchende Seele, die es wagt, dem unerbittlichen Bildermachen etwas Echtes entgegenzufühlen! Keine Hölle, kein Himmel. Nur das Gefühlte, Wahrhaftige, dessen nie versiegende Energie darauf wartet, wieder in die ihr vorbestimmten Formen fließen zu dürfen. Irgendwo hinter dieser Ansammlung willkürlich gezeichneter Bilder, die wir Realität nennen. Ich mache mir ein Bild. Zerlege Lebendiges in leblose Information. Ungestraft, gründlich, immer wieder. Das Abgebildete wird überflüssig. Töte ich es? Was passiert mit den Leichen? Und was, wenn Du Dir ein Bild von mir machst, bevor du mich findest? Veränderst Du mich? Liebst Du dieses Bild? Tötest Du mich und stellst das Bild an meine Stelle? Bildermachen. Eine quantenphilosophische Rückkopplungswaffe, an die man sich nur ein einziges Mal ankoppelt. Ein Fremdwesen voller Tücke, die unbemerkt unser Bewusstsein erstarren lässt. Es sei denn – Ja, wir lassen uns drauf ein. Tauchen voller Euphorie in nie gekannte emotionale Tiefe, und dann entpuppt sich das vermeintliche Wunder als Fälschung, Projektion, als billiger kosmischer Witz, der Schmerz erscheint auf der Bildfläche und wütet. Gar nicht wunderbar, gar nicht schön. Und: Er erwischt uns immer allein. Ich suche Dich in der grellen Schwärze. Ich zerschlage die von Fremden erdachten Bilder, schaue den Trümmern dieser Fälschung nach, wie sie ins Nichts davonstürzen, öffne meine Sinne und will mich erinnern. An Dich, an mich. Ich will mich erinnern. |